Zeitzeugen-Interview zum Thema „Gastarbeiter“ (3/3)

Ort: VHS in Kalk, Datum: Sommer 2002
Das Gespräch geführt haben: Die Herren Becker, Selas, Rogowski und Sobik

Herr Saldi ist ein ehemaliger Arbeitskollege von Herr Rogowski und Herr Sobik in der „Chemischen“, der Chemischen Fabrik Kalk (CFK).
Einleitend stellt Herr Becker fest, dass Herr Saldi die Fragen noch nicht gesehen hat. Worum es geht, ist aber geklärt und dem Respondenten bekannt.

Die Interviewer betonen, dass es viele Fragen gibt: Zu manchen gibt es viel zu erzählen, manche sind schnell zu beantworten.

Daher die erste Frage –
F-: „Haben sie zusammen gearbeitet?“
A- In der selben Firma, ja, aber zusammen nicht.
Hr. Sobik ergänzt, Herr Saldi habe mit seinem Vater zusammen gearbeitet, der auch bei der CFK beschäftigt war, allerdings in einer anderen Abteilung, in der „Soda“.
A – Sobik/Saldi: Es gab mehrere Produktionsabteilungen, Produktionsstätten.
Rogowski: Ich gehörte mehr zur Dienstleistung, zur Energieabteilung.

F- Herr Saldi, erzählen Sie uns, wann und wo sie geboren wurden und etwas über ihre Jugend und Ihre Familie?
A- Ja – ich bin in Sizilien, in Aragona, geboren am 9.6.1935. Das war in schlechter Zeit, es war Krieg.
Mit 5, 6 Jahren habe ich angefangen zu kapieren wie wir lebten, wie wir ausgekommen sind; – weil vorher, wenn man geboren wird, kapiert man ja noch nichts und man macht, was die Eltern sagen. Damals gab es nichts und die Zeit war nicht vergleichbar wie jetzt in Deutschland.
Mein Vater war von Beruf Maurer. Er hatte nicht immer Arbeit, denn es gab ja keine großen Baustellen. Er arbeitete zeitweise, wenn einer etwas zu reparieren hatte, wenn zum Beispiel jemandem einmal das Bad kaputt gegangen ist, obwohl man damals ja kein Bad hatte, kein richtiges, – oder wenn die Küche kaputt gegangen ist, dann hat er immer gearbeitet.
Ich wurde dann langsam größer und kam dann in die Schule. Dann musste ich anfangen zu arbeiten, – was heißt arbeiten?- etwas zu machen. Alle Jugendlichen haben damals am Tag vielleicht zwei Stunden bei alten Leuten gearbeitet oder geholfen für ein paar Mark oder Lire.

F- Sind Sie dort in einer ländlichen Gegend aufgewachsen?
A- Ja, ja wir wohnten in einem Dorf.

F- Wie viele Kinder wart ihr zu Hause?
A- Wir waren 5 Kinder, 3 Brüder und 2 Schwestern
F- Waren Sie der Älteste?
A- Nein, der zweite – Der älteste ist kleiner. Er ist klein geblieben, weil er so viel gearbeitet hat oder der älteste war.
F- Sind von den Brüdern auch welche nach Deutschland gegangen?
A- Ja, ja, alle.
F- Die Schwestern auch?
A- Nein. Ein Schwager ist aber hier her gekommen, als Peter Stühlen noch da war. Als er gesehen hat, wie schwer die Arbeit war, da hat er die ganze Familie gepackt und ist wieder weg gegangen.

Ja, langsam wuchs ich heran und dann kam die Zeit der Bundeswehr. Das war in der Nachkriegszeit, da bin ich zur Bundeswehr gegangen. Damals waren 18 Monate beim italienischen Militär zu absolvieren. Ich war an der Grenze in Gorizie stationiert. Das war so gut wie im Ausland. Ich war also schon fast Ausländer.
So- dann kam ich von Bundeswehr nach Hause, und dann ist man kein Kind mehr, dann ist man erwachsen.
Ich war nun fast 23 Jahre alt und klopfte mal da, klopfte mal da auf der Suche nach Arbeit. Aber es gab keine Arbeit.
Wichtig war schon die Politik oder die Democrazia, oder wie soll man sagen: Entweder bist du in der Partei oder du bist es nicht, so läufts. Wenn Menschen jung sind, dann verstehen sie nicht viel davon, von Politik und so weiter. – Ich habe mir gedacht: Sollst du dich verkaufen? Es kann vielleicht sein, dass, wenn einer in der Politik drin ist und in der Politik serviert (servire ital. dienen), dann ist Sich verkaufen ein Leichtes. Aber, da kriegt man eine Richtung, du musst machen was verlangt wird, sonst kriegst du kein Geld. – Nä – dachte ich, da will ich lieber ein freies Leben führen. Ich will versuchen, arbeiten zu gehen. Im Nachbarort, der Onkel von der Tante dort war nach Deutschland gegangen und er ist wieder gekommen mit gutem Geld. Also dachte ich mir, versuchen kostet nix.
F- Haben Sie so von Deutschland erfahren, indem Verwandte oder Bekannte erzählten?
A- Ja, nur vom Hören habe ich davon erfahren, aber auch von meinem Vater.
Mein Vater war 1945 in Hamburg drei Monate stationiert. Dann kamen die Amerikaner und da ist er hier gewesen. Mein Vater war nicht damit einverstanden, dass ich nach Deutschland komme. Er hat andere Leute kennen gelernt als euch hier. Mein Vater hat alles getan, damit ich nicht hier nach Deutschland rüberkomme. Ich habe gesagt: Papa, damals war eine andere Zeit. Heute ist alles anders.
F- Hatten Sie große Auseinandersetzungen mit dem Vater?
A- Oh ja. Er sagte zu mir: „Bevor die dir was tun, tu ich dir schon mal was“. Ich habe gesagt: „Papa, mach dir keine Sorgen. Jetzt ist die Welt in Ruhe, jetzt haben wir eine ruhige Zeit, da passiert nix – und wenn ich etwas merke, wenn es schlimmer wird, dann kann ich immer wieder zurück kommen“.

F- Hatten Sie einen Beruf gelernt in Italien?
A- In Italien war ich Student von Beruf – ich war bis 18 an der Schule, dann wurde ich zum Kommiss einberufen und hatte bis dahin im großen und ganzen noch keine Lehre.
F- Sie haben Abitur gemacht?
A- Ja, ja, Abitur habe ich.

F- Wie bist du dann nach Deutschland gekommen?
A- So, dann kam ich nach Deutschland. In Sizilien haben wir einen Vertrag unterschrieben und mussten uns verpflichten 1 Jahr lang 12 Stunden am Tag zu arbeiten. Da fängt schon der große Knüller an.
F- Das stand im Vertrag drin?
A- Ja, ja, – im Vertrag, deutsch und italienisch geschrieben: „…muss jeden Tag 12 Stunden arbeiten 1 Jahr… „. Nach einem Jahr war man dann frei. Und es stand eine Klausel dabei, dass in Verona in Italien ein deutscher Arzt käme. Der hat uns, nachdem wir da einen Tag gestanden haben, von Kopf bis Fuß untersucht, 24 Stunden lang. Wer gesund war, konnte durch gehen. Es sind auch welche zurück gekommen, wo es gesundheitlich nicht gestimmt hat.
So, dann kam ich in München an.
Mein Vertrag war nicht hier von Köln von der Chemischen, ich kam zuerst direkt nach München und bin dort gelandet, wo sie jetzt den neuen Flughafen gebaut haben, in Riem.

F- Wann war das, ungefähr in welchem Jahr?
A-Das war am 7.3.1960; der Vertrag war von der Firma Dyckerhoff und Wiedemann – vielleicht hat einer von euch das schon gehört.
Mein erster Eindruck war, dass ich dachte, was ist das? Da waren zwei Meter Schnee auf der Straße. Ich dachte, wo sind wir hier gelandet? In Sibirien?! Bei uns waren es in der Zeit 28 Grad und hier lagen 2 Meter Schnee und der Franz Josef Strauß hat uns mit einer Fanfare empfangen, er war gerade Bürgermeister geworden. Also, besser kann man nicht empfangen werden wie wir, als wir in München ankamen, ein ganz voller Zug von uns.
F- Da sind Sie richtig empfangen worden, von Franz Josef Strauß?
A: Oh ja – da war ich zufrieden.
F- Waren noch andere Bekannte oder Freunde aus ihrer Heimat mit in dem Zug?
A: Ja, der ganze Zug war voll. Von meinem Dorf waren wir 5 – 6 Leute und welche vom Nachbarort und von ganz Sizilien, ja, aus ganz Italien hatten sich Leute versammelt. Das ist doch klar.
F- Haben viele dann auch bei dieser Firma gearbeitet? Oder sind das verschiedene Firmen gewesen?
A: Das hatte man vorher schon gemacht. Man hatte meinetwegen in München 5 bis 6 große Firmen, da wurde gesagt so: 60 kriegen Dyckerhoff-Wiedemann, 30 kriegen Bayer oder wie die alle hießen. Bei mir war das vorher schon gelaufen; das war ja vorher alles schon verteilt.
Bei Dyckerhoff und Wiedemann, das war eine Baufirma und Zementfabrik, bin ich in einer Presse gelandet, wo wir Bürgersteigplatten gemacht haben. Da musste ich ein Jahr bleiben, so lange ging der Vertrag, und ich musste diese Arbeit machen. Ich habe ein Jahr durchgehalten. Es war eine unangenehme Arbeit. Ich hatte wirklich Courage zu arbeiten, jung war ich ja. Aber wenn man 12 Stunden lang an der Presse gearbeitet hat, wo unter der Platte noch eine Eisenplatte zusätzlich war, dann weiß man, was man geschafft hat. Wenn ich abends zur Baracke gegangen bin, wo wir gewohnt haben, dann habe ich mich da hingelegt und am anderen Tag merkte ich schon wieder meinen Rücken. Rückenschmerzen hatte man an manchen Tage oder fast immer.

F- Wie habt ihr in der Baracke gewohnt, alleine oder zu mehreren?
A – Ne, das waren mehrere. Ich weiß nicht genau, wir waren 8. Sieben bis acht Baracken waren da.
F- Mussten sie für das Wohnen in der Baracke Miete bezahlen?
A: Nein, am Anfang war es genau wie bei der Chemischen: Am Anfang war alles frei.
F- Wo waren die Baracken?
A- Genau nebenan wo wir gearbeitet haben, im Werk, auf dem Firmengelände. Genau wie hier bei der Chemischen oder bei Peter Stühlen; es war ungefähr das selbe: Hier waren es Eisenbahnwaggons und da waren es normale Baracken.
F- Wie waren die Baracken eingerichtet?
A- Ja – wie? Zwei Arbeiter hatten jeweils ein Doppelbett, einer unten und einer oben; jeder hatte seinen Schrank und so weiter, so war es eingerichtet.
F- Haben Sie auch in der Baracke gekocht?
A: Ne – da hatten wir eine extra Baracke, wo jeder was kochen konnte, aber ich habe im großen und ganzen nicht gekocht. Ich bin immer raus gegangen zum Essen. Vor allem, als ich langsam anfing, die Sprache zu beherrschen. Es ist klar, am Anfang war es schwierig.

F- Noch eine Frage zu dem Vertrag, den sie gemacht haben: 1 Jahr 12 Stunden arbeiten: war das schon ein Vertrag mit der Firma?
A: Ja. Das war damals ein Vertrag zwischen dem italienischen Arbeitsamt und dem deutschen Arbeitsamt. Die Firma hat den dem deutschen Arbeitsamt gesagt, ich brauche Leute die soundsoviele Stunden machen. Kannst du diese besorgen? Das deutsche Arbeitsamt ist zu dem italienischen – ich weiß nicht wie das lief, vielleicht zum Konsulat oder wer weiß, gegangen, und hat gesagt: Kannst du die Leute besorgen?
F- War auch der Lohn festgelegt?
A- Nein! – Vielleicht war er doch dabei und ich habe es nicht gewusst…

F- Wie war es mit der Sprache? Konntest du schon Deutsch?
A: Nein, um Gottes Willen. Ich konnte so viel Deutsch wie wenn einer „noch eins sagen“ konnte, konnte ich nur mit dem Glas wackeln, soviel konnte ich schon Deutsch.
Aber, ich bin ein Mensch, und wenn ein Mensch etwas in der Schule gelernt hat, wenn er etwas gemacht hat, dann ist es egal, wo man ist, dann ist das Leben nicht schwer. Ich bin in Spanien gewesen und habe dort sizilianisch gesprochen mit den Spaniern, die Hälfte habe ich in meiner Sprache und die Hälfte hat der andere in seiner Sprache gegeben zu einem Thema. Ich bin auch in Frankreich gewesen. Natürlich kann man in der Sprache nicht alles verstehen und sich nicht über alles verständlich machen aber ich habe es von Anfang an versucht, über alles zu reden und wenn notwendig, muss man sich helfen beim Essen und Trinken, das geht schon.

F- Wie viel haben Sie den verdient am Anfang?
A: Am Anfang haben wir damals, wenn ich mich richtig erinnere, also ich will keinen Fehler machen: 1,20 oder 1,05 haben wir damals in einer Stunde bekommen.

…das kann sein (Bestätigung der Kollegen), wir haben damals bei der Chemischen, da kam die Umstellung auf D-Mark und da kamen neue Tarife, da hatten wir alle um die 99 Pfennig und der Vorarbeiter kriegte eine Mark so ungefähr, das kann schon stimmen zu der Zeit.

A: Aber es war eine ganz andere Zeit. Da kann man sagen, wenn wir 12 Stunden gearbeitet haben, da haben wir gut Geld verdient. Wenn man von einem Land kommt, wo man groß geworden ist, wo kein Geld umläuft und plötzlich sieht, wie man hier leicht Geld verdient und alles bezahlt kriegt, dann ist das schon ein großer Unterschied. Wenn du dagegen in einem Land wie Italien warst, das konnte man nicht vergleichen. Dort bringst du zum Beispiel eine Tasse an einen Tisch, dann kriegst du dafür eine Mark versprochen. Wenn du eine Mark dafür haben willst, kriegst du 50 Pfennig. Hier aber, wenn sie gesagt haben von mir kriegst du eine Mark, dann bekam man auch eine Mark.
In ganz München gab es damals noch so eine Sache (Trümmer; Anm. d. Red.)vom Krieg. Da sind Privatleute zu uns gekommen und wir sollten etwas frei schaufeln. So haben wir nach den 12 Stunden Arbeit, sagen wir, da auch noch etwas dazuverdient.

F- Ja, ja, da wurde noch nebenbei gearbeitet, schwarz gearbeitet.
A: Ne, ne – nix schwarz gearbeitet. War weiß.
A: Jedenfalls hat uns der Leutnant zu essen gegeben und 50 oder 60 Pfennig in der Stunde, da haben wir 3, 4 Mark in der Zeit dort verdient, das war viel Geld.
F- Wie waren Ihre Arbeitszeiten, hatten Sie eine Sechstagewoche oder eine Fünftagewoche?
A: Das war verschieden: Wir hatten alle 14 Tage einen Tag frei und den machten wir Sonntags. Und Montag ging es wieder weiter für 14 Tage.
F- Habt ihr Schicht gearbeitet oder nur Tagschicht?
A: Nein, alle 14 Tage 1 Sonntag frei, sonst immer durch. Es kann auch sein, dass ein anderer Tag frei war, aber das kann ich nicht mehr so genau sagen, es ist über 40 Jahre her.

F- Du kamst also quasi hier her und hattest ein Jahr Arbeit bei der Firma?
A: Ja! Und nach einem Jahr war der Vertrag am Ende. Da kamen alle an. Ich war ein guter Mann, nicht nur bei der Chemischen, da auch, und man hat alles getan, damit ich da bleibe. Man könne mir leichte Arbeit geben, „da verdienen sie jetzt mehr, bleiben sie hier“ wurde gesagt. Ich hatte, muss ich ehrlich sagen, die Nase voll von dem Zement und ich dachte, wenn das so ist, dann gehe ich jetzt weg. Ich habe damals einen Freund hier (in Köln, Anm. d. Red.) gehabt, der kam auch aus meinem Dorf. Wir haben in der Zeit brieflich korrespondiert und er hat hier in Porz gearbeitet bei Ritzak. Das war eine Glasfabrik. (Ziehglasfabrik in Porz – Anm. d. Red.) Im Briefwechsel hat er mir gesagt, du kannst hier rüber kommen, die Arbeit ist nicht schlecht und man verdient etwas mehr. Denn in der Zeit, etwa ein Jahr später, da hatten wir schon 2 DM, glaube ich. Da hatte sich der Lohn in einem Jahr verdoppelt.
Gut, ich bin also von München nach Köln gegangen und im Gegensatz zu dort war das hier ein Paradies. Hier war das halbe Sizilien. In München war ja von September an Schnee, manchmal bis in den Mai. Ich dachte, wo sind wir hier. Und als ich in Köln gelandet bin, dacht ich, wir sind schon wieder in der Nähe von Sizilien. Da war nix.

F- War das gleich nach dem ersten Arbeitsjahr?
A: Nach dem (1.) Jahr bin ich hier gelandet – 1961
F- Sind Sie dann zwischenzeitlich nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt?
A: Nein
F- Im Urlaub?
A: Ja, in Urlaub war ich immer, aber in dem Jahr nicht, da war nichts mit Urlaub in der Firma. Da hat man uns nur ausgenutzt, wie die Ähser.
Und hier kam das gute Leben, nachdem ich hier hin gegangen bin. Und wie der Teufel will, kommt da ein Auto von der Chemischen (in die Firma) und bringt Soda.
Rogowski/Sobik: Ja, richtig, dort benötigte man Soda zur Glasherstellung.
A: Ja, ich bin ein Mensch, der, wie soll ich sagen, muss die Nase überall hinstecken, immer neugierig. Ich habe den gesehen, den mit dem feinen Zeug, – wovon ich tausende von Tonnen nachher produziert habe. Damals habe ich nicht gewusst, wozu das Zeug gut war. Ich habe das Zeug angefasst und angefangen zu niesen und ich habe gedacht: „was für ein Mist, was bringt er euch hier!“ Da sagte der Fahrer: „pass mal auf: Da ist eine chemische Fabrik hier in der Nähe und das Zeug nennt sich Soda“. Mit der Soda haben wir Glas gemacht.
Ich dachte, Soda, was machen sie? Vielleicht bringt das was? Da habe ich mich erkundigt, wo die Chemische wäre und habe (sie) direkt gefunden. Ich habe dort gefragt, aber damals wurde man nicht direkt in die Chemische übernommen. Damals gab es Liesegang (Rogowski: Richtig! Das war eine Fremdfirma. -Leiharbeiterfirma, Anm. d. Red.) Ich habe dort nachgefragt, bei Eckmann, der war damals bei Liesegang. (Vielleicht hat er euch auch gekannt?) (Ich kenne ihn! :Rog.)

Als ich gefragt habe, das war in der Zeit als ich gerade bei Wolters lernte und da konnte ich mir schon gut selber helfen, ich war ja auch schon (2) Jahre hier, da sagte er, ich könne morgen anfangen. Ich sagte: „Langsam, morgen kann ich nicht, ich habe Arbeit, ich muss mich erst da erkundigen und dann …“. „Gut, aber jederzeit und wenn Sie wollen, können Sie direkt anfangen“, sagte er.
Ich bin dann wieder zurück zu meiner Arbeit und habe weiter gemacht, und wie der Teufel manchmal will, passierte folgendes: Wir hatten da, ich weiß nicht, ob ihr davon Ahnung habt, eine Vorrichtung, da kam das Glas hoch. Dann war da so ein Magnet und dann „zamm“, wurde das Glas frisch geschnitten. Dann mussten wir mit anpacken und es auf die Palette, auf die Cavalette (Cavaletto, ital. „Gestell“; Anm. d. Red.) drauf tun. Und während der Zeit in der es hoch gezogen wurde, standen wir alle im Kreis, alle Leute die da gearbeitet haben und haben gequatscht, wie jeder normale Arbeiter es macht. Plötzlich hat sich dann eine Last von Glas gelöst. Da stand einer von Herbol, das kann ich in meinem Leben nicht vergessen, und die Last stürzt dort hin und er wurde am ganzen Körper bis ins Fleisch geschnitten. Ich dachte: „Verdammte Scheiße, hier arbeite ich nix mehr“.

Gesagt, getan: Zwei Tage später war ich bei Eckmann. „Ich habe mich da erkundigt“, sagte ich, und ich müsste noch weitere Informationen haben und ich müsste nach Italien. „War nix Italien“. Ich bin direkt zur Chemischen gegangen, zu Liesegang und habe direkt an der Soda angefangen.
Als ich damals an der Soda angefangen habe, da war die neue Soda noch im Bau. Es gab erst nur die alte Soda in einem Altbau, in der Kaustik. In der neuen Soda waren nur 2 Öfen, zwei Leichtsodaöfen, Kaustik 1 und 2 in Betrieb und an der Schwersoda war man noch am Bauen. Als die später in Betrieb genommen wurde, war ich immer da beschäftigt.

F- Wann sind Sie übernommen worden? Sie waren ja zuerst praktisch Leiharbeiter bei der CFK.
A: Für die CFK war ich zunächst von Liesegang. Wenn einer von euch von der Chemischen damals, sagen wir, 10 Mark – wie viel genau in der Zeit, weiß ich nicht mehr- verdient hat, hat uns der Liesegang 7 Mark gegeben.
F- Ja, ihr habt immer weniger verdient…
A: Ja, ihr habt euch darüber Gedanken gemacht…
Sobik: Ihr habt die selbe Arbeit gemacht….
A: Ja, die selbe Arbeit.
Sobik: „… da mussten sie noch aufpassen, Überstundenprozente und so, Feiertagsprozente, da mussten sie aufpassen, dass sie die kriegen…“
A: Und was alles für Zeug.
F-Rogowski: Und die hatten ja dann, wenn sie geliehen wurden, (keine?)feste Arbeitszeiten und wurden auch manchmal anderswohin verliehen… Und die haben ja auch gerne in der CFK gearbeitet.
A: ja
Rog: und wollten ja auch arbeiten. Die hatten ja keine Lust da zu pennen oder da rum zu gammeln. Das war ja für uns persönlich lustig. Ich habe auch mal ne Zeit lang Schicht gemacht, war Schichtführer. Schumacher war mein Vorarbeiter. Jetzt fielen nachts zwei Deutsche aus, kamen nicht, waren krank. Da sag´ ich zu Schumacher, das war Nachtschicht: Fahr mal schnell zum Liesegang in die Baracke und guck mal. Einen wirst du ja kennen, dann bringst du den mit. Er kam mit vieren wieder. Was sollen wir mit vieren, so viele brauchen wir nicht. „Aber die wollen ja arbeiten“. Aber damals zu der Zeit war das auch egal, wir haben auch vier Mann beschäftigt.

Wohnen/Unterkunft
F- Und bei Liesegang wohnten sie auch auf dem eigenen Gelände in Eisenbahnwaggons?
A: Bei Liesegang haben wir dann in der Kunftstraße gewohnt, in den Waggons. Aber ich habe nicht lange dort gewohnt. Ich bin raus gegangen, bin ausgezogen und ich habe hier in Kalk an der, wie heißt die Straße, wo der Stühlen war, an der Vorsterstraße gewohnt.
F-… mussten sie da was bezahlen dem Liesegang?
A: Also, am Anfang, wie die mich reingeholt haben, brauchten wir nicht zu bezahlen. Nachher, etwas später, mussten wir 7 Mark glaube ich im Monat bezahlen. Nachher dann 14 Mark in der Woche usw. bis 100 und paar Mark im Monat. Da sagte ich nä. Damals mit 300 Mark konnte man schon draußen schön wohnen, ich dachte mir na, da wohne ich nicht mehr da drin, da bin ich ausgezogen.

F- Da haben viele Italiener gewohnt?
A: Oh ja.
F- Die CFK hatte also am Anfang gar keine eigenen Gastarbeiter?
A: Doch, schon (Rog./Sobik)
F- Aber viele über Liesegang?
A: (Sobik) viele über Liesegang. Es war oft so, dass wir jetzt so Leiharbeiter hatten, wie z.B. die komplette Urlaubsvertretung usw. und die Leute waren anständig und menschlich konnte man sie brauchen, die Sprache spielte auch eine große Rolle, dann haben wir die oft fest übernommen.
F- Und Liesegang war hauptsächlich Leiharbeiterfirma?
A: Richtig!
A: Rogowski: Da hat es oft schwer Ärger gegeben…
A: Verbrecher waren das.
Rogowski: Wegen der Bezahlungsunterschiede: Da haben sich die Leute von der CFK, Betriebsräte, oder der Schumacher, sehr verdient gemacht, um auf die Richtung Gleichbehandlung hinzuweisen. Die haben die Lohntüten kontrolliert um zu sehen, ob das alles richtig war… also von 3 Lohntüten waren 2 verkehrt ausgerechnet, immer. Man hat Stundenlisten geführt. Überstundenprozente, Urlaubsgehälter, alles hat nie gestimmt. … da kam einer an: Mir fehlt Geld! So: Dann haben wir ne Doppelliste geführt und haben dann festgestellt: Die haben den Leuten gar nicht bezahlt, was wir aufgeschrieben hatten. Das kannst du nachher nicht mehr nachvollziehen.
F- (Sobik): Das war nachher ja auch so: Wir hatten die Liesegänger, wie wir sagten. Die hatten sich nachher ja auch bei uns organisiert in der Gewerkschaft in der Chemischen Fabrik Kalk. Und sagen wir mal so: wir waren immer über 100% organisiert, weil diese, obwohl sie nicht CFK-Leute waren, mit organisiert waren.
Und dann haben sich die Leute klug gemacht und haben sich bei uns organisiert und dann wurde denen bei uns auch geholfen. Dann konnte der Liesegang es nicht mehr so vertuschen, wie er es damals gemacht hat, nachher.

F- Liesegang war aber doch keine Chemische?
A: (Sobik) Ne, die sind dort nur angestellt gewesen. Das war eine reine Leihfirma, die die Leute der CFK zur Verfügung gestellt hat, wo die arbeiten konnten.
F- Diese Firma Liesegang hat nichts mit der Stahlbaufirma Liesegang hier in Kalk zu tun?
A-(Sobik): Doch, es waren zwei Liesegänger, eine war in Zollstock und eine hier.

Rogow.: Das war ja so verzwickt: Der später da war, der Fischer, der Fischer war nachher sogar doch drei mal von der Chemischen.
A: … der Idiot /Sobik: Gegen den habe ich noch Fußball gespielt. ?

F- Komplizierte Arbeitsverhältnisse…
A: Ja, ja, damals war der Eckmann an der Fuhrwerkswaage, da wo die Wagen gewogen wurden, wo der Kaffeeautomat war und der kleine Colaautomat: Als der Fischer zu uns kam, hat er sich eine große Baracke bauen lassen (Büro, Verwaltung der Leiharbeiter. Anm. Rogowski).

F- Von dem Geld, was sie verdient haben, haben sie davon viel in die Heimat geschickt oder haben sie alles selber behalten?
A: Nein, um Gottes Willen. Ich habe viel nach Hause geschickt. Mein Standpunkt hätte sein können: Ich bin nach Deutschland gekommen, ich verdiene 2 Mark, bin schon 23 Jahre alt und wir kommen so richtig von dem Sonnenland, also muss ich jetzt heiraten. Das war aber nicht so. Ich dachte, wenn ich Geld verdiene, heiraten kann ich da, lass mal sehen, was noch kommt. Es passierte dies oder das usw. und ich habe Geld nach Hause geschickt. Und wenn der Urlaub kam, hat mein Vater gesagt, ich hab´ das oder jenes gemacht und wie bei jeder normalen Familie war nicht viel Geld übrig. Dann haben wir gesagt, da machen wir weiter.
F- Wie viel Geld haben Sie nach Hause geschickt (wenn ich das fragen darf)?
A: Ja, selbstverständlich dürfen Sie fragen. Also: Damals, da haben wir bei 300 Mark angefangen. Es ist aber auch so gewesen, wissen Sie, dass die Lira und die Mark nicht immer so stabil geblieben sind. Für 100.000 Lire habe ich damals 350 Mark rechnen müssen. Später musste ich für die selben 100.000 Lire 650 Mark hinlegen. Also, das war katastrophal, wie die Werte, deutsche-italienische Währung sich veränderten.
F- Also in Relation zu ihrem Verdienst haben sie ein Drittel nach Hause geschickt oder wie viel?
A: Oh, das hat damit nix zu tun, wissen Sie. Ich habe, als ich hier bei der Chemischen ankam immer Wechselschicht gemacht, also vier Schichten. Eine Woche hatten wir daher praktisch frei. So lange frei, ging nicht. Ich habe dann bei dem Gestüt Schloss Rötgen gearbeitet, den ganzen Tag. Wir haben z.B. das Rasenmähen gemacht und alles was so möglich war oder wir haben an der Piste bei der Rennbahn gearbeitet usw. Ich war fast den ganzen Tag dort und ich habe manche Zeiten von dem Geld, was ich nebenbei verdient habe, gelebt und habe das andere alles nach Hause geschickt.
F- Haben sie es auch mit der Absicht nach Hause geschickt, zu sparen, um dann aus Deutschland zurück zu kommen und da ein kleines Vermögen zu haben?
A: Also nö. Erst mal sind wir andere Menschen. Wir sind „kompakt“ Menschen, wir gehören zusammen. Also: Einer für alle – wie Napoleon damals gesagt hat, und alle für einen. Auch wenn in der Familie etwas gebraucht wird. Ich habe das Geld ohne Bedeutung da hin geschickt. Damit es meiner Familie gut geht. Und was nachher damit zu machen war, das war später, das mussten wir später überlegen.
F – Hatten Sie aber nie die Absicht, hier viel Geld zu verdienen und dann nach Italien zurück zu gehen?
A: Ja, am Anfang ja. Aber, wissen Sie, da habe ich festgestellt, das geht so nicht. Da muss man entweder im Lotto gewinnen oder eine Bank ausrauben. Also, mit der Arbeit? Ich denke, ich habe wirklich den Gedanken gehabt, wie gesagt wurde: Geld sparen und dann wieder nach Hause. Aber da geht doch nix. Dafür muss man eine Million im Monat verdienen. Man muss ja leben und sich kleiden usw. Da bleibt nicht viel übrig.

F- Zu Arbeits- und Berufsleben: Sind Sie bei den Berufen in der CFK angelernt worden?
A: Ja.
F- Eine richtige Berufsausbildung haben Sie nicht?
A: Nein. Ich habe aber Probeanalyse gemacht im laufenden Betrieb.
F- Angelernt?
A: Angelernt? – Ne, da lernt man von selber. Angelernt? Mit 3 Monaten Zeit lernt man nicht viel. Es gibt welche, die lernen einen an und haben selber keine Ahnung. Das merkt man später, Herr Rogowski, ist doch richtig? – Da gibt es Leute, die sind in Rente gegangen und haben nicht gewusst, was wir fabriziert haben.
F- Wann bist du denn in der CFK übernommen worden? (Sobik)
A: In der CFK bin ich 63 übernommen worden. Durch Zufall am selben Tag wie ich in München angefangen habe: 7. März 60. 3 Jahre später bin ich bei der Chemischen übernommen worden, Zufall, ne!
Ja, damals war ich Postenmann. ?Ich habe die schwere Soda alleine laufen gelassen. Ich war alleine und damals, am Anfang, hatten wir keine Bunker. Was meinen Sie, wie ich da gesprungen bin. Mit einem dicken Brett haben wir Soda zubereitet, – Produktion. Wenn das Auto gekommen ist gab es da kein Silo. Da war nur ein Schlauch womit wir geladen haben. Wir haben da drin gescheffelt (geschippt), um das Auto voll zu kriegen. Dieses fuhr dann direkt weg und es kam wieder ein neues. Und der W. war der Schichtmeister. Der sagte: „Der Saldi bleibt in der schweren Soda“. Später kam der Meier, ne, er war Obermeister. Der sagte: „Wenn der Saldi da ist, dann läuft die Soda“.

F- Und die Arbeitsbedingungen: Wie würden sie die in den Anfangsjahren, als sie in die CFK gekommen sind, beschreiben. Waren sie für sie gleich oder sind die deutschen Mitarbeiter bevorzugt worden?
A: Nein, nein, das war alles etwa gleich. Aber wissen sie, die Sache ist so: Wenn einer in seiner Heimat ist, wenn einer von hier ist, und ein Fremder da mit arbeiten soll, da ist immer ein Unterschied. Da drücken die Meisten ein Auge zu, normalerweise. Es ist ein bisschen Kuschelmuschel usw. und da gibt es welche, wenn man denen einen kleinen Finger gibt, dann verlangen sie den ganzen Arm nachher usw. Aber im großen und ganzen waren die Bedingungen vor den Vorgesetzten für alle gleich.
F- Auch das Verhältnis zu den Mitarbeitern?
A: Ja.
F- War in dem Bereich, in dem Sie gearbeitet haben, der Anteil von deutschen Arbeitern und Italienern gleich oder waren da mehr Gastarbeiter?
A: Ne, da war ich als Italiener und es sind später noch ein paar gekommen. Am Anfang war ich alleine mit den Deutschen, nur Deutsche waren da. Nachher kamen mehr.

F- Und wie haben Sie Deutsch gelernt? Einfach im Umgang mit den Kollegen oder haben Sie auch Deutschunterricht genommen?
A: Das war das Problem: Ich habe keinen Deutschunterricht genommen. Ich habe ein Tonband gekauft von dem ersten Geld was ich verdient habe und so ein kleines Taschenbuch mit Italienisch und Deutsch (Wörterbuch, Langenscheidts) und dann habe ich das italienische gesprochen und das deutsche und habe es wiederholt. Dann bin ich zu den Leuten gegangen, zu den Leuten ins Geschäft. Da habe ich gehört, wie sie es aussprechen, denn das Deutsche ist so: Man liest so und spricht ganz anders! Deutsch ist (eine) schwere Sprache! Aber ich bin unter die Leute, verstand ein Wort und morgen wieder eins. Und auf der Arbeit, da lernt man viel.
F- Aber alles auf Eigeninitiative hin?
A: Ja, ja. Für eine Schule hatte ich keine Zeit, ich musste (ja) arbeiten.
F- Wie haben es ihre Mitbewohner gemacht? Haben sie sich auch selber Deutsch beigebracht?
A: Welche, was meinen Sie mit die Mitbewohner? Leute die in der Baracke gewohnt haben…? Wissen Sie, wenn man so in einer Mannschaft wohnt, geht jeder seinen Weg. Also, ich bin ein Einzelgänger. Ich gehe meine Wege und was der andere macht, interessiert mich nicht.
F- Bei Liesegang in der Baracke wurde dann aber nur Italienisch gesprochen?
A: Ja, ja. Aber auch kamen Polen dazu und drei Holländer, da hatten sie alle Rassen da drin.
F/A: Ja, die hatten auch Spanier, Portugiesen

A: Obwohl, der Johann, der war ein guter Mensch. Wo hat der noch gearbeitet? Mal da, mal da, bei der Chemischen.
F- (Sobik) Ich kenne noch viele Italiener, die im Kamp IV gearbeitet haben, auch viele aus einem Dorf. Die halten zusammen wie Pech und Schwefel
A: Ja, ja, an dem Mischer, weißt du.

F- Und als du dann deine Wohnung gekriegt hast, hast du alleine gewohnt?
A: Ja, ja.

F- Und wie kam dann die Entscheidung, sich ne eigene Wohnung zu nehmen?
A: Ja, wissen Sie, wenn wir mit dem Thema anfangen, dauerts endlos…
Da liest man in einer Zeitung: Wohnung frei! (steht da)
Wie er uns gesehen hat, wie wir schwarze Teufel waren, sagt er nee! Ist schon vermietet, ist schon vermietet.
F- Haben die „Schwarze Teufel“ gesagt?
A: Nein, das sage ich.
F- (Sobik): Zu der Zeit waren Wohnungen schwer zu bekommen. Die erste Wohnung hast du über die Firma gekriegt?
A: Nein, über die Firma bekam ich die Wohnung (CFK-Werkswohnung, Anm. d. Red.), wo ich jetzt wohne.
F- Aber die erste, die hast du so gekriegt?
A: Die erste habe ich selber ausgesucht und sie war von, ich weiß nicht wie der heißt, hier an der Vietorstraße. Das war der Dicke, wie der heißt, weiß ich nicht, der hatte ganze Häuser da und der hat Geld von uns kassiert, der Idiot, wie Sand am Meer.
F- Von euch, der Zeller?
A: Ne, ne, der Zeller war der Dolmetscher.
F- Da war noch so´n dicker, der Priester?
A: Der hieß Heinen. Der hat in der Vietorstraße gewohnt.
F- Aber nicht von der Chemischen?
A: Nein
F- Ach so, Heinen, der hatte Häuser gehabt und die vermietet… der vermietete dann nur an Gastarbeiter?
A: Ja, ja, nur. Für 2 Zimmer hat der damals 250 Mark verlangt. Damals hätte man 1000 Quadratmeter Mieten können für 250 Mark!
F- Und da haben Sie eine Wohnung für sich alleine gehabt oder nur ein Zimmer in einer Wohnung?
A: Ne, es war eine 2 Zimmer Wohnung.
F- Aber nur Sie alleine?
A: Ja, ja. Gut, später, 68, hab´ ich geheiratet.

F- Wie hast du deine Frau denn kennen gelernt?
A: Meine Frau?! Ich hab´ hier Frauen gehabt wie Sand am Meer! Das sollen wir so nicht schrieben, wenn meine Frau das hört, dann lässt sie sich scheiden. Das ist klar, das wollen wir nicht. Ne, aber so wie der Teufel will, wohnten meine Eltern und die Eltern meiner Frau an der selben Straße, aber wir haben uns nicht gekannt.
Ich habe mit meiner Frau als Kinder zusammen auf der Straße gespielt. Aber daran hat man nicht mehr gedacht. Einmal komme ich in Urlaub da unten hin und da sehe ich sie und ich denke, pass mal auf, das ist die Richtige, weil einen, den kannte man von der Familie. Da habe ich versucht, sie kennen zu lernen und mittlerweile sind wir 35 Jahre zusammen.
F- Interessant auch, weil ja viele ihre Frauen hier kennen lernen.
A: Ja, ja, aber ich habe meine Frau in Aragona kennen gelernt und 68 geheiratet.
F- Da sind sie auch in eine andere Wohnung gezogen?
A: Da gingen die Probleme richtig los!
F- Sie haben ihre Frau mit hier her genommen? Wieso gab es da noch größere Probleme?
A: Ja, zuerst kamen wir in die 2 Zimmer (Wohnung), die ich als Junggeselle schon hatte. Da kam ich gar nicht raus. Ich las die Zeitungen, aber was ich hätte zahlen müssen, war nicht zu machen!
Oder es hieß Wohnung frei, aber wenn ich da hin kam, war nix! „Ist alles schon weg; ist schon vermietet!“ – Da konnte man nichts machen außer wieder gehen.
F- Weil sie Italiener waren?
A: Ja, ja – das vermute ich. Aber bestätigen kann ich das nicht, aber das war so.

F- Hatten sie sonst Probleme mit Deutschen, weil sie Italiener sind?
A: Nein, nein. Ich hatte von Anfang an keine Probleme. Wissen Sie warum? Das gibt es heute auch noch, manche Deutsche: Wenn einem meine Nase nicht gefällt oder mir genau so, dann gehe ich direkt andere Wege. Dann drehe ich mich um und geh weiter, also da gebe ich keine Motive…
F-Aber das hat man ja auch mit Landsleuten?
A: Ja klar, das ist überall so.
F- Aber warum glauben Sie, dass man so im normalen Leben, im Alltag, gut miteinander auskommt, aber wenn es darum geht, eine Wohnung zu bekommen, entstehen da Schwierigkeiten?
A: Ja, wissen Sie, das war die Mentalität von den alten Deutschen: Der hatte sich vielleicht keine, wie soll ich mich jetzt ausdrücken, zum Verstehen, vielleicht ein Beispiel: Wenn die „Rotznase“ zu mir sagt: Wenn Sie hier reinkommen, sie haben bestimmt 7 Kinder, die machen alles kaputt. Und Sie wollen die Wohnung? – Ja, so stelle ich mir das vor. Also, gesagt hat mir das keiner, aber ich habe die Vorstellung gehabt. Ich dachte, vielleicht denkt er sich, wir sind, was weiß ich … hebräisch, die wurden irgendwo geboren und machen alles kaputt. Aber hinterher dann, als er gemerkt hat, dass wir die Wohnung besser hergerichtet haben, da war der Fall langsam gelöst. Ja, und heute nimmt er sich an uns ein Beispiel und fragt: Wie hast du die Platten hier verlegt..?
F- Die Deutschen haben ihre Vorurteile, hatten Sie Vorurteile gegenüber den Deutschen? Was war Ihr Bild von den Deutschen?
A: Ja, das sind Menschen wie alle anderen auch.
F- Aber er sagte ja schon, sein Vater hatte ja auch schon Vorurteile gegen die Deutschen- aber aus Erfahrung, durch den Krieg.
A: Ja, ja – aber mein Vater, in der Zeit als er hier war, da waren die Menschen keine Menschen, ob Deutsche oder Italiener oder egal was für Menschen in der Kriegszeit, das wissen sie besser wie ich. In der Kriegszeit, das ist keine gute Zeit, da musste sich jeder helfen wie der konnte.

F- Wo haben Sie dann letztendlich als sie geheiratet hatten, 68, eine Wohnung gefunden? Hier in Kalk?
A: Ich hatte in Kalk mehrere Wohnungen: Zuerst habe ich die erste verlassen und bekam eine Wohnung in der Kalk-Mülheimer Straße, wo der Autofriedhof ist, gegenüber – wo jetzt der Aldi ist, bei Auto Dierkes. Da hatte ich eine gefunden. Es war eine alte Frau, die brauchte Geld. Das war angenehm. Da hatte ich eine 3 Zimmer Wohnung für 210 Mark, aber wir fingen mit 160 Mark an. Vorher hatte ich für die 2 Kleinen Zellen 250 bezahlt und jetzt bezahlte ich 160 für die 3 Zimmer Wohnung. Dort habe ich bis 1983 gewohnt. Da ist die alte gestorben (Vermieter) und der Sohn sagte: Entweder Sie kaufen oder wollen Sie raus? Es hat aber ein anderer die Wohnung gekauft. Mir hat sie nicht gefallen, weil sie zu klein war. Und dann kam ich zu Forsbach und dann landete ich bei euch (meint die Arbeitskollegen), da wo ich jetzt wohne, in der Lenzenwies. Da wohne ich seit 83.
F- Das ist jetzt eine Eigentumswohnung, ne?
A: Ja, ja – gehört mir.
F- So bekam er über die Chemische Kalk ne Werkswohnung (Sobik)

F- Lassen Sie mich noch einmal zurück gehen zu der Zeit, als sie bei Liesegang in der Baracke gewohnt haben und in den Waggons: Was haben sie da in ihrer Freizeit gemacht?
A: Ich habe alle gemacht.
F- Er hat noch nebenbei gearbeitet (Sobik)
A: Ich habe noch bei Mühlenz gearbeitet. Der Eckmann hat damals so 10 bis 15 Mark angeboten, da sollte ich zum Bahnhof gehen, Leute holen. Aber es kam keiner.
F- Ich meinte: Zur Erholung, zur Entspannung, wenn Sie Freizeit hatten, da gingen Sie auch arbeiten?
A: Ja, ja: Das (andere) ist privat… wenn man jung ist und hat Freizeit, dann geht man dahin, wo andere sind, was man so gar nicht erzählen darf!
F- Ja, gut. Hatten Sie auch Kontakt zu Deutschen Kollegen in ihrer Freizeit?
A: Oh ja!
F- Haben Sie die privat besucht?
A: Ne, wir haben uns so getroffen, sind mal ein Bier trinken gegangen, wie alle normalen Menschen, oder ein bisschen Spazieren und Pizza essen.
F- Haben Sie auch Kontakte zu deutschen Frauen gehabt?
A: Was meinen Sie jetzt? Deutsche Frauen verheiratet oder unverheiratet?
F- Unverheiratet!
A: Ja klar!
F- Gab es da Probleme mit den Eltern?
A: Probleme gab es, aber man muss das verstehen: Wenn ich aus einem Land komme und gehe in ein anderes Land, entweder ich passe mich bei denen an, wo ich wohnen soll oder lasse es sein. Das war das Problem. Ich habe durch meine Erziehung Geld verdient und Geld gespart. Wenn ich eine Freundin gehabt habe, hat die nicht so viel Geld gespart, sondern mehr ausgegeben. Und darüber gab es schon Meinungsverschiedenheiten. Dadurch kamen wir manchmal auseinander.
Aber sonst habe ich gut gelebt. Die Deutschen sind genau so Menschen wie alle anderen auch.
F- Sich in ein deutsches Mädchen zu verlieben wäre kein Problem gewesen?
A: Ja, ja: Verliebt war ich mehrmals. Aber nur eine gewisse Zeit, dann fing es schon an. Es war dann so: Ich habe Wechselschicht gemacht. Wenn ich abends arbeiten musste, sagte ich: „Du musst heute abend zu Hause bleiben. Wenn ich frei habe, dann gehen wir tanzen“. Hier bei Asbach in der Kalker Hauptstraße, wo heute Urban ist, da war ich oft drin. Dahinter war der Saal. Ihr kanntet das ja auch. Jetzt ist davon nichts mehr da. Da hat damals unser Sodamann Akkordeon gespielt.

Ja ja, und da waren die Meinungen oft verschieden: Wenn ich eine Familie gründe und sage zu der Frau: „So, du bleibst heute zu Hause, ich habe Nachtschicht. Wenn die Frau dann sagt, ich geh aber tanzen, dann sage ich: Auf Wiedersehen. Dann gehst du halt tanzen“.

F- Ihre Frau ist dann auch mit nach Deutschland gekommen. Ich nehme an, sie konnte nicht gut deutsch sprechen. Wie ist sie am Anfang klar gekommen? War es schwierig für sie?
A: Ich musste „Doppelagent“ spielen: Wenn meine Frau zum Arzt musste, da musste ich mitkommen. Sie spricht heute noch nicht richtig (Deutsch), also hundert prozentig. Sie kann sich helfen mit ein paar Worten. Aber verstehen tut sie alles, sprechen fällt ihr aber schwer.
Probleme haben wir am Anfang gehabt, als ich keine große Wohnung kriegte. Wir hatten schon ein Kind und das zweite war unterwegs. Da habe ich die Frau mit den beiden Kindern nach Italien gebracht und habe drei Jahre alleine gelebt. Meine Frau war bei meinen Schwiegereltern und ich alleine hier. Scheiße war das. Ich habe mir damals gesagt, dass es jetzt wieder kritisch wird. Ich fragte mich, ob ich eine vernünftig Wohnung finden werde oder ob ich selber auch zurückgehen sollte. Aber dann haben wir etwas gekriegt und ich habe die Familie wieder hier her geholt. Es ist schwer, sich aus dem Nichts etwas aufzubauen. Man glaubt gar nicht, wie schwer das ist.
Ich erzählte auch immer meinen Kindern: Ich habe mit Null angefangen und heute bin ich ein normaler Mensch wie alle anderen. Aber denkt daran, wie schwer das ist, sich von null langsam hoch zu arbeiten, bis man normal leben kann und es wie die anderen machen kann. Das ist schwer. Zu meinem Sohn sagte ich: Du hast keine Probleme. Wenn du sagst: „Papa, ich brauche Geld“, dann ging es gleich hier, Portemonnaie raus oder ich gebe dir die Karte und dann holst du dir Geld und damit ist der Fall gelaufen. Damals aber hat mir keiner einen Pfennig gegeben.

F- Wie viele Kinder haben Sie?
A: Zwei
F- Leben die auch in Deutschland?
A: Ja. Einer lebt zur Zeit in München.
F- Wollen die nach Italien zurück?
A: Ja, wer will nicht nach Italien?! Wir träumen nachts von Italien und Sizilien, wo wir geboren sind, ich und meine Frau. Und dass wir eines Tages wieder nach da unten gehen, wo das Wetter, wie es jetzt hier ist, dort bei uns im Winter ist.
F- Sind Ihre Kinder hier geboren oder in Italien?
A: Meine Kinder sind in Italien geboren. Ich habe meine Frau im letzten Monat (der Schwangerschaft) da runter gefahren, weil ich dachte, es gibt hier vielleicht Probleme, da meine Frau die Sprache nicht kann usw.
F- Und groß geworden sind sie dann hier in Deutschland?
A: Ja, ja. Sie sind hier in die Schule gegangen.
Rogowski: „Die sprechen einwandfrei Deutsch“.

F- Hatten Sie denn hier in Köln noch andere Verwandte, die auch aus Sizilien gekommen sind?
A: Ich habe meinen Bruder hier in Köln, der ist bei der Deutschen Bank beschäftigt, und andere Bekannte und Kollegen. Das ist ein ganz großer Kreis. Mein Schwager ist auch hier in Kalk. Den habe ich damals von Italien hier her geholt. Bekannte und Verwandte, die hier sind, die habe ich alle hier her geholt. Ich war der erste, der hier war. Damals hat man gefragt: Ist Arbeit da? Und ich sagte dann ja, komm, pack deinen Koffer, es gibt Arbeit. Mit der Zeit hatte ich die Sprache gelernt und kam so direkt dran.

F- Die Frage, ob Sie jemals Ausländerfeindlichkeit erfahren haben, erscheint uns wichtig?
A: Ja, das ist heute noch.
F- Wie äußert sich das?
A: Ja, das merkt man direkt, wie manche Leute Rassisten sind. Automatisch, da braucht man nicht zu fragen. Ich bin zur Zeit beim Kaufhof beschäftigt. Ich bin zwar Rentner, aber ich mache dort den Schließer, um mir die Zeit zu vertreiben und ein paar Mark dazu zu verdienen. Und da sind welche, die versuchen immer, einem einen Stock zwischen die Reifen zu stecken. Aber das hat der Junge noch nicht geschafft. Das schafft der Alte auch nicht, wie auch der andere, der hier war; das sind die Leute, die sehr von sich selber überzeugt sind. Es ist aber gar kein Problem. Ich bin noch immer gut nach Hause gekommen.
Aber, hier wächst die Scheiße wenn der Deutsche Staat oder die Behörden nichts unternehmen gegen die scheiß Naziste, da wo sie sich treffen. Das muss man mal gesehen haben, überall in der U-Bahn, da unten, wo man zur Straßenbahn runter fährt, was da alles los ist… Die fahren mit der Straßenbahn, setzen sich da hin mit ihren Hunden und die alten Leute müssen weg gehen, sonst kann was passieren. Und so lange nichts unternommen wird, verstärken sich die Dinge. Und wer weiß, ob wir da nicht eines Tages noch was erleben können.

F- Aber du bist doch Italiener? Deutsche Staatsangehörigkeit hast du nicht?
A: Nein, jetzt sind wir Europäer. Was brauche ich Italiener zu sein?

F- Abschließend noch die Frage: Was würden Sie, wenn Sie heute zurück blicken, anders machen, wenn Sie es noch mal tun könnten?
A: Wenn ich noch mal von vorne anfinge oder wie meinen Sie das?
F- Wenn Sie noch mal 16 wären?
A: Ja, das ist eine gute Frage. Aber das kann man ja nicht vergleichen. Heute geht man auf die Straße und findet zehn Euro auf der Straße, so beim Laufen. Damals hat man davon geträumt, einen Pfennig zu finden und zu verdienen. Das sind jetzt ganz andere Zeiten. Wenn ich jetzt wieder anfangen sollte, dann würde ich zuerst studieren. Ein gutes Studium an der Universität absolvieren und dann würde ich eine Stelle bekommen, wo man kommandieren kann und nicht kommandiert wird. Also, das ist ganz klar.
F- Ja, jetzt hat man das Wissen…
A: Ja, jetzt hat man das Wissen und die Gelegenheit. Damals war nix: Entweder musste man arbeiten oder verhungern.
F- Sie sind aber nicht der Meinung, sie haben alles verkehrt gemacht?
A: Ja, wissen Sie, jeder von uns macht (mal) etwas verkehrt. Aber ob es, wenn man es anders gemacht hätte, richtig gewesen wäre, das ist die Frage.
F- Also, die Entscheidung nach Deutschland zu kommen, war die richtige?
A: Ja, das war richtig. Ich kam von da, wo ich nichts hatte und habe hier langsam, sagen wir, so klein wie es auch ist, mein Imperium aufgebaut. Da hätte ich keine Möglichkeit gehabt.
F- Aber Du hast ja dort deine Heimat. Du willst ja irgendwann wieder zurück, denn du hast ja in Italien auch etwas aufgebaut, oder?
A: Ja, das wollte ich gerade erzählen. Ich habe in Italien ein schönes Haus gebaut, das steht leer. Das ist das Problem. Ich habe das ganze Geld von Mühlenz zum Leben ausgegeben und alles andere da runter geschickt um weiter zu bauen. Damals war mein Vater noch am Leben, er hat auf alles aufgepasst.
F- Aber trotzdem ist es für dich schwer, du hast die Kinder hier, du hast mittlerweile Enkel. Das macht es schwierig, wieder zurück zu gehen, und die Kinder hier zu lassen.
A: Wenn man das Leben plant, kommt der Plan nie geradeaus hin. Entweder ist etwas dazwischen gekommen oder es passiert etwas. So ist es jetzt: Was soll ich in Sizilien in der Sonne liegen, wenn ich meine Kinder hier habe? Sie kommen doch und sagen: Guck mal Papa, deine Enkel, wie sie lachen…
Ja, was soll ich da alleine? Ich fange jetzt so langsam an, mit allen zusammen nach da unten in Urlaub zu fahren. Da hatten sie schon vor, sich da zusammen etwas zu kaufen, als die vielen Urlauber dorthin kamen. Und langsam zieht es sie schon dorthin. Vielleicht gibt uns der liebe Gott ein langes Leben und sie werden auch älter und sagen dann: So, jetzt ziehen wir alle da runter, und dann gehen wir und bleiben da. Wer weiß?
F- Ihre Kinder sprechen Italienisch fließend, sie haben keine Probleme in Italien?
A: Ja, ja, wir sprechen zu Hause nur italienisch, sie sprechen Deutsch, weil sie Deutsch in der Schule gelernt haben. Gerade unser Junge war auf der Universität und hat sein Abitur mit Note drei gemacht. Aber er wollte nicht noch länger Schule machen und ist dann direkt von der Schule zum Fernsehsender Premiere gekommen, um dort zu arbeiten. Er hatte gesehen wie das läuft, hat die Schule fallen lassen und hat dort angefangen und arbeitet heute noch da. Aber er hat das vielleicht auch falsch gemacht, denn jetzt ist Premiere ja am wanken. Da hat er schon gesagt: Papa, hätte ich meinen Abschluss gemacht, wäre ich vielleicht woanders. Wer weiß, was danach kommt. Vielleicht läuft aber auch Premiere wieder gut. Jetzt will es ja Berlusconi kaufen.
F- Hat man hier als italienische Familie einen stärkeren Zusammenhalt gehabt, als wenn man in Italien gelebt hätte?
A: Ne, das ist das gleiche hier. Wir leben in Italien zusammen wie hier auch. Wie ich vorher gesagt habe: Wir sind einer für alle und alle für einen. Und das geht gut. Wenn einer fällt, wird er von vielen Händen direkt hoch gezogen.
F- Das war aber auch ein wichtiger Grund, um hier leben zu können, dass der Familienzusammenhalt auch hier funktioniert hat?
A: Ja, aber leben muss man. Auch wenn manche sich in den Mund schießen. Egal wie die Welt ist, leben muss man.
F- Möchten Sie uns noch etwas erzählen? Was Ihnen am Herzen liegt?
A: Ja, mir geht es gut. Ich habe immer gearbeitet und ich war nie arbeitslos. Ich habe meinen Weg immer gemacht. Ich weiß nicht, was das ist, das Sozialamt oder so was. Ich weiß nicht einmal wo das steht. Ich habe immer gearbeitet und auch nebenbei gearbeitet. Jetzt bin ich Rentner und arbeite weiter nebenbei. Ich meine, es ist eine leicht Arbeit, denn ich kann ja körperlich nicht alles machen.

F- Sie haben anfänglich hier in Kalk gewohnt und wenn Sie sich heute die Situation in Kalk ansehen, wie empfinden Sie das, was hat sich verändert?
A: Ja, lange. Aber heute möchte ich hier in Kalk keine Wohnung geschenkt haben. Kalk, wie ich es damals gekannt habe, existiert gar nicht mehr. In Kalk, wie es damals war, abgesehen davon, dass viele Kollegen hier wohnten, lebten normale Menschen und es gab normale Geschäfte. Jetzt muss man aufpassen, dass man nicht mit dem Messer abgestochen wird. An der Kalker Post kommen Sie nicht durch, durch die Drogenszene. Haben Sie das noch nicht fest gestellt? Ja, da kennt man Geschäfte, wo bis vor fünf, sechs Jahren eine angenehme deutsche Familie drin war. Da sind heute Türken, die verkaufen Bilder, Hunde auf dem Mond, da denkt man, was ist denn hier passiert. Ein Stück weiter ist genau das selbe; alles Türken.
F- Wie ist denn das Verhältnis zwischen euch Italienern und Türken?
A: Also, ich persönlich mache keinen Unterschied. Ich unterhalte mich mit Deutschen, Türken, mit Chinesen, mit allen. Wenn einer ein Wort zuviel sagt, sage ich, ich habe keine Zeit, wir sehen uns nächst Woche – wir sehen uns dann im Leben nicht mehr.
F. Es gibt solche und solche.
A: Ja, ja, das sieht man. Zuletzt schoss ein Italiener an der Kalker Post. Das sind Leute, da denkt man, das sind die Enkel von denen, die immer hinten runtergefallen sind. Die sind immer unter sich und, was weiß ich, was sie fabrizieren oder was sie machen, aber am Schluss, wenn es nicht anders geht, schießen sie sich gegenseitig kaputt. Das ist ein Problem.
F- Sie haben im Rückblick im Großen und Ganzen positive Erfahrungen gemacht?
A: Zu 90 % – 10 % sind natürlich nicht positiv.
F- Haben Sie Bekannte, Verwandte, die nur negative Erfahrungen gemacht haben?
A: Verwandte oder Bekannte, Nein. Aber Kollegen. Wie ich gehört habe, sind sie da beschissen worden und dort beschissen worden. Dauernd wurden sie nur beschissen. Ob das aber im Grund genommen stimmt, das ist eine andere Frage. Vielleicht haben sie sich selber beschissen und denken, die Leute haben sie beschissen.
F- Das passiert Deutschen ja auch: Wenn z.B. Vertreter kommen und du bist nicht gerade firm und du unterschreibst was…
F- Wie werden Sie in ihrer Heimat angesehen?
A: In meiner Heimat bin ich jetzt kein Deutscher und kein Italiener mehr. In meiner Heimat werde ich, wenn ich ankomme, gefragt: Ah, bist du wieder da, Francesco? So und so, gehen wir Kaffee trinken? Natürlich bezahle ich. Das ist so beim Italiener, wenn einer vom Ausland kommt, dann hat der Geld. Das ist doch ganz klar. Ja, dann gehen wir Kaffee trinken usw. und ich bezahle. Dann gehen wir raus und der Fall ist gelaufen. Drei Tage später wird man schon gefragt, wann gehst du wieder weg? Dann sage ich, wieso? Stört es dich, dass ich noch hier bin?
F- Aber man wird nicht abschätzig betrachtet, weil man in Deutschland arbeitet?
A: Nein, das war damals vielleicht ein bisschen, aber jetzt nicht mehr.
F. Und dein Vater hat sich dann auch beruhigt, als er merkte, dass es so gut ging?
A: Ja, er hat gesagt, das hast du gut gemacht, aber…
F- Hat Ihr Vater Sie in Deutschland irgendwann besucht?
A: Nein
F- Wollte er nicht nach Deutschland zurück?
A: Nein. Er hatte drei Wochen in einem Keller gelebt und hat Kartoffeln gegessen, ohne Geschirr und was weiß der Teufel. Da war ein Freund oder eine Freundin, genau hat er es nicht erzählt, die hat ihm etwas in den Keller gebracht, da wo er versteckt war. Aber sonst, draußen waren die Nazis und haben alles kaputt gemacht und er war im Versteck. Und da hat er gesagt: Ne, da geh´ ich nie im Leben mehr hin. – Aber es waren nicht die Deutschen direkt schuld. Es war der Diktator, der damals regiert hat. Den kann man nicht so sehen wie die Deutschen hier heute.
F- Ja, Mussolini war ja auch ein Diktator…
A: Ja, genau das selbe oder noch schlimmer.
F- Italiener und Deutsche waren ja zusammen
A: Ja. Ich war damals fünf Jahre. Da marschierten sie mit schwarzen Hemden an der Schule. Das ist, was ich damals davon verstanden habe.